100 km UMED 2022 Sahara - Tunesien

2021 bin ich zum ersten Mal die 100 km beim Ultra Mirage El Djerid (UMED) in Tunesien in der Sahara gelaufen. Es war eine der bewegendsten und schönsten Erfahrungen, die ich als Ultraläuferin machen durfte.

Wer in die Wüste geht, wird nicht derselbe bleiben, der er vorher war.
— Arabisches Sprichwort

Deshalb war mir sehr schnell klar, dass ich im nächsten Jahr wiederkommen würde und diesmal durfte ich im Rahmen einer Pressereise mit Discover Tunisia zusätzlich noch mehr von diesem wunderschönen Land mit wahnsinnig gastfreundlichen Menschen und seiner farbenprächtigen und vielfältigen Kultur kennenlernen.

Aber darüber erzähle ich in einem anderen Bericht.


Am Mittwoch Mittag begann ab Frankfurt meine Reise zu meinem zweiten Wüstenlauf in Tunesien. Dort traf ich Andrea Philippi, die Pressereferentin und Organisatorin der Reise und auf Max und Nico, die als Filmteam Aufnahmen für ihre Dokumentation machen wollten und uns begleiten würden. In Tunesien sollte am Donnerstag noch Anna Hughes, eine weitere Ultra- und Trailläuferin zu uns stossen, die ebenfalls am UMED teilnehmen und die 50 km laufen wollte.

Ich war mir im Vorfeld etwas unsicher, ob das alles gut funktionieren würde.

Jeder, der läuft und schon einmal bei einem Wettkampf gestartet ist, weiß wahrscheinlich wovon ich spreche, wenn ich sage, dass ich vor einem solchen Lauf meine ganz persönlichen Abläufe und Rituale habe. Für einen 100km Lauf in der Wüste ist das noch einmal etwas anders.

Beim Ultra Mirage ist der normale Zeitplan von Donnerstag bis Sonntag schon sehr anstrengend und ich war mir nicht sicher, wie es mit dem Erlebnisprogramm vor dem Lauf werden würde und ob ich genügend Zeit für Erholung und mentale Vorbereitung finden würde.

Nach 2 Stunden Flug und einer kurzen Nacht in unserem Hotel in Tunis ging es am nächsten Morgen weiter in Richtung Tozeur, eine Oasenstadt im südlichen Tunesien am Rande des Chott El Djerid.

Die erste grössere Pause war in Kairouan geplant. Hier wollten wir in einem sehr schönen Restaurant traditionell zu Mittag essen und auf Anna treffen.

Anna ist eine sehr erfahrene Trailläuferin aus Garmisch-Partenkirchen. Sie hatte vor vielen Jahren schon erfolgreich beim Marathon des Sables teilgenommen und wollte jetzt, nach vielen Jahren Trailläufen in den Bergen, wieder in die Wüste.

Wir haben uns auf Anhieb verbunden gefühlt. Ich würde sagen, da haben sich zwei Läuferseelen gesucht und gefunden.

Annas Lebenspartner Nesh bereibt seit vielen Jahren eine Tauchschule in dem kleinen Fischerstädchen Mahida und wollte uns die nächsten Tage ebenfalls begleiten und dann war da noch Tibor, ihr spanischer Windhund oder Gallo Español, der uns nicht von der Seite wich.

Nach einem sehr feinen und leckeren tunesischen Mittagessen, erkundeten wir die wunderschöne Medina von Kairouan.

Normalerweise liebe ich es durch die engen Gassen zu streifen, die intensive Farbpalette, die das Mittagslicht zeichnet und die exotischen Gerüche und Geräusche in mich aufzusaugen, aber im Hinterkopf hatte ich immer den Lauf, der in weniger als zwei Tagen auf mich wartete.

Eine ganz andere Herausforderung und ein noch grösseres Abenteuer, auf das ich mich einlassen wollte. Also versuchte ich mental immer wieder meine Gedanken, trotz Freude und Neugier über das Neue, zu dem Wüstenlauf zurückzubringen.

Wer schon einmal in den Medinas im Maghreb unterwegs war weiß, dass dort überall Essenstände mit unterschiedlichen Leckereien zu finden sind, die überall frisch zubereitet werden. Ich liebe orientalisches Gebäck in allen Varianten. Zu Hause im Alltag mag ich es weniger süss, aber diese kleinen Kostbarkeiten, meistens mit Pistazien, Mandeln, Rosenwasser, Datteln und Honig, finde ich einfach unwiderstehlich lecker.

Eine besondere Spezialität in den Ländern Nordafrikas ist Makroud, ein Gebäck aus Hartweizengriess, Datteln und Mandeln, das nach dem Backen in Öl in Sirup aus Zucker und Zitronen- und Orangenschalen getaucht wird.

Kairouan ist für seine Makroud-Bäckereien weit über die Stadt hinaus bekannt. Bei jedem Lauf habe ich etwas im Laufrucksack, dass für mich eine besondere Belohnung ist oder das mich wieder motiviert, wenn ich in einem mentalen Tief hänge. Oft ist das etwas Typisches oder Traditionelles aus dem Land. Makroud war da für mich einfach perfekt.

Bei Lotfi Khedher habe ich mich dann für die nächsten Tage versorgt :) Seine kleine Bäckerei findet man Mitten im Herzen der Medina von Kairouan.

Eine kleine Schachtel voller Glück.


Nach ein ein paar kleineren Stopps und kurzen Kaffeepausen, kamen wir in Tozeur in unserem Hotel Ras Al’Ain in Tozeur an.

Dieses Hotel ist jedes Jahr das Event-Hotel des Ultra Mirage und von Donnerstag bis Sonntag verwandelt sich die Hotelanlage mit weitläufigem Garten, Pool und grossem Restaurantbereich in einen wunderbaren Ort, an dem man alte Bekannte wieder trifft und neue Lauffreundschaften schliesst. Es ist jedesmal wie ein grosses Familientreffen.

Nach Ankunft und Abendessen am Donnerstag, ging es dann freitags gleich weiter mit Race-Registrierung und Startnummer abholen und dem Briefing in unterschiedlichen Sprachen.

Um 13 Uhr fand es in Englisch statt und es blieb noch genügend Zeit vorher einen Mittagssnack zu sich zu nehmen.

Eigentlich bin ich vor solchen Läufen immer sehr in mich gekehrt, suche bewusst die Stille und Ruhe und versuche die Aufregung auszubalancieren. Beim Ultra Mirage klappt es aber ganz gut, trotz des Trubels und der wahnsinnig positiven Stimmung, dass ich mich nicht gestresst fühle.

Wahrscheinlich ist die Art des Laufes, die Organisation und die Menschen, die hier in der Oasenstadt Tozeur zusammenkommen, das Geheimnis.

Bouali hatte ich 2021 kennengelernt. Er würde in diesem Jahr an CP 80 km sein.

Der UMED wurde 2016 zum ersten Mal von Amir Ben Gacem, dem Gründer veranstaltet. Die Idee des Laufes war von Anfang an, einen professionellen Wüstenlauf zu organisieren, der international Anerkennung findet und trotzdem den Schwerpunkt auf Land, Kultur und die gesamte Region behält.

Es wird sehr eng mit lokalen Geschäften zusammengearbeitet, für jeden Teilnehmer werden Bäume gepflanzt und Nachhaltigkeit ist ein grosses und wichtiges Thema. Deshalb ist die Teilnehmerzahl auf 300 Läufer limitiert und bis 2025 möchte man als Veranstaltung komplett CO2 neutral sein.

Auch die Verpflegung an den Check- und Hydration-Points ist anders.

Es gibt Datteln aus der Region und Salznüsse. Für alles andere ist jeder Läufer selbst verantwortlich. Somit ist der UMED ein 100 km oder 50 km Nonstop-Wüstenlauf, bei dem sich der Läufer fast komplett selbst versorgen muss. Damit geht der UMED als Vorbild-Event voran. Ich erlebe es so oft auf anderen Veranstaltungen, dass ein reichhaltiges Verpflegungsangebot bereitgestellt wird. Aber letztendlich weiss jeder Läufer am besten, was er braucht und gut verträgt. Am Ende muss das meiste dann entsorgt werden, weil es nicht weiter verwendet oder weggegeben werden darf.

Wenn man bedenkt, dass man zudem noch in der Wüste unterwegs ist, wo Temperaturen weit über 30 Grad herrschen, ist es absolut gerechtfertigt, dass es kein Obst oder anderes gibt, das noch umständlich transportiert werden muss.

Wasser und Elektrolyte sind sowieso die wichtigsten Dinge, die man hier zu sich nehmen muss :)

Wer noch mehr über den Lauf erfahren möchte, kann gerne direkt auf der Seite schauen:

Ultra Mitage El Djerid

Im Briefing wurde dann nochmal kurz auf die Strecke eingegangen, welche Check-Points und Hydration-Points es gab, wie man sich verhalten sollte, wenn es einem nicht gut geht und auf was man sonst noch achten sollte.

In der Hotel-Lobby konnte man sich das UMED-Logo als Henna-Tattoo malen lassen und ich dachte mir, ein arabisches Wort für Glück wäre auch nicht schlecht :)

Nach dem Briefing konnte ich zusammen mit Anna im Rahmen der Pressereise einen kleinen Ausflug in die Bergoase Chebika unternehmen und einen ganz anderen Blick auf das Chott El Djerid werfen. Oben auf den Bergen zu stehen und in die Weite dieser Landschaft zu blicken, ist unbeschreiblich. Ich stand mit Anna einfach nur da und wir schauten in diese Tiefe und keiner von uns sagte etwas.

Für einen kurzen Moment blieb die Zeit stehen. Gleichzeitig mischte sich Unsicherheit in mein Gefühl. Ich weiss manchmal nicht genau ob es gut ist eine solche Strecke ein zweites Mal anzugehen. Plötzlich hatte ich sehr genau Situationen und Stationen vor Augen, an denen es mir das erste Mal nicht so gut ging oder die mental kritisch waren.

Aber ich hatte es trotzdem geschafft, das ist das was am Ende zählt.

Wie der Name des Laufes UMED (Ultra Mirage El Djerid) sagt, verläuft die Strecke durch das grösste Salzseengebiet der Sahara. Schon Jules Verne und Karl May haben in ihren Werken diesen wunderbaren und einzigartigen Ort auf dieser Erde beschrieben. Mirage bedeutet Fata Morgana und für mich, einer Ultraläuferin, durch und durch mit Abenteuergeist und Entdeckerherz, gibt es nichts Aufregenderes, als die Vorfreude auf das nächste spannende Adventure.

Das Chott El Djerid

Zurück im Hotel hiess es dann schnell Drop Bag packen und abgeben. Eigentlich brauche ich dazu immer etwas Zeit und Ruhe, aber das war auf Grund des Zeitplanes nicht möglich. Also musste ich sehr strukturiert alles durchgehen. Die Taschen für die 100 km Läufer werden am CP bei 52 km bereit gestellt.

In meinen Beutel wanderte diesmal:

  • Wechselshirt

  • Wechselsocken

  • Stirnlampe für die Nacht

  • Leuchtstab

  • Elektrolyte

  • 4 Riegel ( 2 von Daty aus dem Goodie-Bag, 1 Nussriegel, 1 Haferriegel )

  • 1 Schokotörtchen (manchmal brauche ich auf Läufen etwas richtig Süsses)

  • Salznüsse & Dinkel-Salz-Brezeln

  • 1 Koffein-Shot

  • meine Mala-Kette (diese ist wie mein Mala-Armband, das ich am Handgelenk habe, immer dabei)

  • und eine Glücksfeder, die mir der Pfau im Hotel geschenkt hatte

Alles verstaute ich gut in meinen leichten Packsack von Sea to Summit. Nachdem ich ihn endlich abgegeben hatte, ging ich gleich zum Abendbuffet und wollte danach versuchen mich zu entspannen und in Ruhe noch einmal mein Equipment durchgehen.

Das Hotel leistet in diesen vier Tagen jedesmal grossartige Arbeit. Donnerstag, wenn die meisten Läufer anreisen, gibt es Essen bis spät in die Nacht und auch am Tag des Laufes, kann man noch bis nach Mitternacht im Restaurant essen, damit auch die 100 km Läufer, die später ankommen noch versorgt sind.

Das Buffet bietet eine große und vielfältige Auswahl und es ist sicher für jeden etwas dabei. Da ich mich hauptsächlich vegan ernähre, war es für mich etwas schwieriger. Aber ich bin relativ flexibel und kann mich ein paar Tage auch sehr einfach mit Pasta und Gemüse oder Couscous ernähren.

Auch das Brot am Morgen ist eher fluffig und sehr hell, so wie ich es eigentlich nicht esse und Cerealien oder Müsli gibt es kaum.

Aber schliesslich ist man in Tunesien in einer Oasenstadt und letztendlich ist es dem Körper egal durch was er seine Kohlenhydrate bekommt. Hauptsache die Energiespeicher sind voll :)

Jedes Jahr gibt es diese UMED Torte

Treffpunkt in der Lobby zur Abfahrt in die Wüste war um 4:45 Uhr und mit Anna verabredete ich mich um 4:00 Uhr zu einem kleinen Frühstück. Also sollte die Nacht um 3:30 Uhr vorbei sein.

Nach dem Essen war ich dann endlich gegen 21:00 Uhr auf dem Zimmer.

Ich schloss die Tür und plötzlich war sie da, diese Vorfreude und Aufregung. Die beiden Tage davor hatte ich wenig Zeit gefunden mich mit dem Lauf zu beschäftigen. Dadurch, dass wir viel unterwegs waren und es immer etwas Neues zu entdecken gab, war mein Geist ständig abgelenkt.

Jetzt, in der Stille meines Zimmers, nur mit mir allein, wurde mir bewusst, dass ich in ein paar Stunden wieder in der Wüste laufen würde. Bilder des vorigen Jahres kamen mir in den Sinn. Ich erinnerte mich an Momente der Müdigkeit und Erschöpfung und dann tauchten wieder unfassbar schöne Bilder auf, in denen ich einfach durch Sand und Weite lief und mich unglaublich frei fühlte.

Meine Gedanken spielen in solchen Momenten Ping Pong:

“Du bist verrückt, das nochmal zu machen!”

“Jaaaa, das ist alles unglaublich schön!”

“Meinst du, du schaffst das?”

“Hey, ich habe das schon mal geschafft auch jetzt werde ich mein Bestes geben, damit ich ins Ziel komme!”

Mein Atem beruhigte sich und ich musste lächeln. Ja, genau das war es, warum ich hier war, um genau diese Vorfreude und Aufregung zu spüren und Neues zu erleben und meine Grenzen zu verschieben.

Dann merkte ich, dass mein Fokus zurückkehrte.

Die letzten Zweifel verstummten und ich konzentrierte mich darauf die restlichen Dinge meiner Ausrüstung zu packen und die GPS Daten auf meine Uhr zu laden.

Mit Schlafen ist das vor Läufen immer so eine Sache. Wirklich gut funktioniert das bei mir nie. Meistens bleibt ein kleiner Teil meines Unterbewusstseins hellwach und normalerweise muss ich auch ganz bewusst den Schlussstrich ziehen und mich hinlegen.

Also ging gegen 23.30 Uhr das Licht aus und nach einiger Zeit war ich dann auch eingeschlafen.

Irgendwann drang ein monotones Klingeln in mein Unterbewusstsein. Ich war sofort hellwach und schaute auf mein i-Phone.

3:30 Uhr - die Zahlen leuchteten mir grell ins Gesicht.

5 Minuten später klingelte Anna durch:

“Guten Morgen. Alles ok, ich bin wach. Wir sehen uns gleich.”

Dann lief alles weiter wie in einem Film, bei dem der Regisseur klare Vorgaben gibt. Toilette, Kontaktlinsen, Zähne putzen, in die Laufkleidung schlüpfen, die seit dem Abend bereit lag, Trinkblase und Softflasks mit Elektrolyten auffüllen und ab zum Frühstück.

Es war schon etwas surreal, wie lebendig es im Hotel-Komplex zuging. Zu einer Zeit, in der jeder normale Mensch tief und fest in seinem Bett liegt und vor sich hinschlummert, wuselten hunderte Läufer hier auf den Wegen in Richtung Restaurant oder nochmal zurück zu ihrem Zimmer. Manche warteten schon in der Lobby. Alle schon in ihrer Laufkleidung, mit mehr oder weniger angespanntem Gesichtsausdruck, aber alle mit einem Glitzern der Vorfreude in den Augen.

Für mich ist Kaffee am Morgen ein absolutes Must-have. Für mich könnte es auch an jeder Verpflegungsstation Cappuccino geben - egal wie warm es ist :)

Also bestand mein Frühstück aus Kaffee, hellem Brot und Honig und da es in Tunesien unglaublich leckere süsse Stückchen gibt, gab es noch zwei kleine Brioche. Sehr viel kann ich morgens vor einem Lauf meistens sowieso nicht essen. Oft esse ich auf dem Weg zum Startpunkt dann noch Datteln, die gehen immer oder ein paar Nüsse.

Anna war auch schon sehr konzenriert und fokussiert.

Wir assen in Ruhe, nahmen uns die Zeit, die wir brauchten und dann ging noch einmal jeder auf sein Zimmer.

Laufrucksack schnappen. Sekundeschnell alles durchgehen. Nochmal ins Bad und dann los.

Andrea, Nico, Max, Anna und ich fuhren nicht mit den grossen Bussen, sondern in einem extra 4x4 Geländewagen.

Auch draussen vor dem Hotel ging es zu, wie im Bienenstock. Alle Läufer mussten 45 Minuten zum Startpunkt Mos Espa gefahren werden. Die Fahrt war sehr ruhig, viel reden kann ich dann nie. In meinem Kopf spielt sich dazu einfach zuviel ab.

Der Moment, an dem ich das erste Mal 2021 in Mos Espa, dem Village in der Wüste, ankam war unbeschreiblich.

Diesmal war es anders, aber kein bisschen weniger magisch.

Mos Espa ist der Drehort von Star Wars -Krieg der Sterne und der Geburtsort von Luke Skywalker.

Weiss beleuchtete Zelte, die wie aus einer anderen Zeit sich vom dunklen Horizont abheben, Fahnen die im Wind wehen, Gemurmel in unterschiedlichen Sprachen und das Starttor, das einem einen Blick in eine andere Welt zu gewähren scheint. Ein Ausblick in grenzenlose Weite und gnadenlose wilde Natur.

Am Himmel zeichnete sich ein kleiner Lichtbogen ab, der das Aufgehen der Sonne ankündigte.

Es ist kaum in Worten zu beschreiben, was ich in diesem Moment dachte und fühlte.

Anna und ich gingen unseren Rucksack abgeben und dann rückte auch schon langsam die Uhr auf 6:00 Uhr. Anna’s Start sollte um 6:30 Uhr sein.

Ich startete die GPS-Strecke und stellte mich schon einmal in den Startbereich. Irgendwo tanzte eine Gruppe und sang. Einige machten noch ein letztes Foto vor dem Start. Mittlerweile standen alle100km Läufer in einer engen Gruppe hinter dem Torbogen zusammen, vor uns ein paar Fotografen in deren grelles Licht wir schauten.

Und dann war er da, dieser Moment, auf den alles die letzten Monate und Wochen zugelaufen war.

Dieser Moment, an dem der Countdown läuft und sich alles auf einen Punkt zu reduzieren scheint. Wissend, dass vor einem diese grenzenlose Weite liegt, die einem alles abverlangt und doch soviel gibt.

6…5…4…3…2…1…

…und los.

Durch das Tor, hinaus in die Wüste.

Anna lief noch einen Moment neben mir her, wünschte alles Gute und einen guten Lauf und dann hörte ich nichts mehr, nur das Rauschen des Windes und die Schritte im Sand unter mir.

Der Wind wehte mir am Anfang ganz schön heftig entgegen. Ich hatte das Gefühl kaum voran zu kommen und alles fühlte sich sehr anstrengend an. Ein kurzer Gedanke flackerte auf:

“Hoffentlich kostet das nicht zuviel Kraft und zieht mir zu früh den Stecker.”

Ich bin nicht immer sofort im Lauf. Manchmal brauche ich fast 10 -15 Kilometer um in meinen Rhythmus zu kommen. So war es auch diesmal. Der Gegenwind war heftig, irgendwie spürte ich im Unterbauch ein Unwohlsein und so richtig innerliche Entspannung wollte sich nicht einstellen.

Der Moment des Sonnenaufganges, bei dem sich minütlich die Landschaft zu verändern scheint, ist jedesmal ein unbeschreiblicher Augenblick.

Es waren 20 km bis zum ersten Check-Point.

Also brachte ich meinen Fokus recht früh in den Step-by-Step-Modus. Einfach einen Schritt machen und dann den nächsten und den nächsten.

Von steinigen, flachen Passagen wechselte der Weg auf diesem Abschnitt immer wieder zu weichem Sand und leicht hügelig.

Zwischendurch war der Sand zu sehen, der sich durch den Wind vom Boden abhob und über den Boden zu tanzen schien. Ich hoffte, dass sich alles nicht zu einem Sandsturm zusammenbrauen würde. Zu diesem Zeitpunkt hat man vor und hinter sich noch andere Läufer. Später auf der Strecke zieht sich das Feld immer mehr auseinander und man läuft viel allein.

Ich merkte, dass sich mein Magen und Darm nicht beruhigte und wusste nicht nicht genau woher es kam. Getrunken hatte ich genug, etwas essen wollte ich noch nicht. Also entschied ich bis zu CP 1 zu laufen und zu schauen, wie es mir dort ging. Den Gedanken, dass ich vielleicht aufhören muss, lasse ich in solchen Momenten gar nicht erst gross werden.

Der erste Abschnitt fühlte sich lang und endlos an. Die Kilometer wollten einfach nicht weniger werden. Nach einer gefühlten kleinen Ewigkeit sah ich die ersten Zelte und war ziemlich erleichtert am ersten CP zu sein.

Ich wollte mich dort nicht zu lange aufhalten.

Nesh - Anna's Partner - half mir beim Wasser auffüllen. Max und Nico sah ich irgendwo mit der Kamera. Dann griff ich kurz in die Salznüsse und dann ging es auch schon weiter.

Nach CP 1 läuft man noch eine kurze Strecke auf relativ festem steinigen Untergrund und dann geht es über in eine fast surreale Landschaft. Man hat das Gefühl auf dem Mond zu laufen und ab dann wird der Boden sandig und lose.

Hier ging es meinem Darm immer noch nicht gut und ich entschied mich etwas von meinen Haferriegeln und eine Dattel zu essen. Entweder es würde dann besser werden oder irgendwann gar nicht mehr gehen.

Nach ungefähr 15 Minuten merkte ich, dass es mir deutlich besser ging und dann kam ich von Minute zu Minute mehr in meinen Laufrhythmus und in den Lauf.

Bei Kilometer 31 war der nächste Hydration-Point.

Der Wind wurde immer noch nicht weniger. Im Gegenteil, gefühlt wurde es immer stürmischer. Als das kleine schwarze Zelt im typischen Wüstenstil auftauchte, blies mir der Wind ganz ordentlich ins Gesicht und auch die Zeltbahnen blähten sich verdächtig weit nach aussen auf und die Eisenstangen schepperten und krachten und ich dachte, dass es gleich abheben würde.

Der nächste CP war bei 35 Kilometer. Inzwischen fühlte ich mich gut und auch hier hielt ich mich nur kurz auf. Bei Kilometer 39 teilt sich dann die Strecke. Für die 50k Läufer geht es weiter in Richtung Ziel zurück nach Mos Espa. Die 100k Läufer biegen auf die berüchtigte Road of Death ab.

Dieser Abschnitt ist eine 6 Kilometer lange gerade Passage aus softem, weichem Sand und man trifft auf sie zur absoluten Mittagshitze.

Das Wichtigste war hier für mich, nicht zuviel Energie zu verbrauchen und darauf zu achten, dass der Körper nicht überhitzt. Also trinken, trinken und nochmal trinken.

Road of Death

Das letzte Mal hatte ich hier ordentlich zu kämpfen. 6 Kilometer laufe ich normalerweise noch nicht mal im Training, weil es meistens eine zu kurze Strecke ist.

Aber unter diesen Bedingungen erscheinen sie endlos. Monoton knirschte der Sand unter meinen Schuhen.

Tip, Tap, Tip, Tap…

Zwischendurch trinken. Immer wieder auf die Distanz schauen.

Noch 5 Kilometer. Noch 4…noch 3,5…

Langsam wurde die zurück gelegt Strecke mehr und die, die vor mir lag, weniger.

Einfach weiter gehen. Der Körper macht das schon.

Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit und einer kleinen Anhöhe war das Zelt zu sehen.

Die Road of Death zum zweiten Mal bezwungen.

Nach der Road of Death ist der nächste CP bei 52 Kilometer und hier wartet für jeden Läufer sein Drop Bag. Das ist eine riesige Motivation, die Energie und Antrieb gibt.

Ich lief durch den Sand, spürte den warmen Wind auf meiner Haut und fühlte mich absolut frei. In diese grenzenlose Weite einzutauchen und in dieser wahnsinnig schönen und wilden Natur zu laufen, im Einklang mit mir und meinem Laufschritt, macht mich glücklich. Jeder Schritt gibt mit die Gewissheit, dass ich ein Teil dieser wunderbaren Welt bin und in gewisser Art und Weise empfinde ich auch Demut und mir wird bewusst, wie wichtig es ist, diesen Planeten mit all seiner Schönheit und Vielfalt zu erhalten.

CP 52 Kilometer

Hier füllte ich meine Elektrolyte und Riegel auf packte meine Stirnlampe und den Leuchtstab in meinen Laufrucksack.

Es gab auch Cola und davon trank ich fast 500 ml. Im Alltag trinke ich nie Cola, aber nach oder während anstrengenden Läufen wirkt sie wirklich Wunder.

Als ich wieder los lief, war ich immer noch sehr motiviert. Ich lag ziemlich gut in der Zeit. Im Vergleich zu 2021 war ich sehr viel schneller unterwegs,

Aber nach kurzer Zeit, fiel ich in mein erstes richtig mentales Tief. Der weiche Sand unter meinen Füssen, der einem kaum Halt gab, das Gefühl nur im Schneckentempo voran zukommen und die Monotonie der Landschaft, waren zermürbend.

Ich starrte auf das Wellenmuster, das der Wind in den Sand gezeichnet hatte. Überall waren kleine trockene Büsche zu sehen. Die Sonne brannte mir auf den Kopf und die Haut glühte vor Hitze.

Ich spürte den Wind in meinem Gesicht und ich hatte das Gefühl die Luft flimmerte. Genau in diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich durch eine Landschaft lief, die für Menschen nicht gemacht ist.

Plötzlich, als ich so auf meine Füsse starrte und kurz den Kopf hob und wieder versuchte gegen den Gedanken einfach aufzuhören ankämpfte, flatterte ein kleiner rostbrauner Schmetterling an mir vorbei - ein Distelfalter, wie ich später recherchierte.

Als würde er über eine üppige Blumenwiese fliegen, drehte er kleine Schleifen und Bögen in der Luft und zog seines Weges. Ich war total überrascht. Damit hatte ich nicht gerechnet. Vielleicht mit Skorpionen, Käfern, Fliegen, Schlangen, Dromedare. Aber ein Schmetterling?!

Sofort war mein Kopf klar und der Fokus wieder da.

Wenn hier so ein kleiner Schmetterling scheinbar mühelos herumflattern konnte und seinen Weg finden würde, dann konnte ich auch noch etwas schneller laufen und irgendwann würde auch dieser Highway to Hell zu Ende sein.

Und dann, endlich, nach einer weiteren kleinen Ewigkeit tauchte die Strasse auf, die man überqueren musste, um auf der anderen Seite zum nächsten CP zu kommen.

Hier kam ich bei meinem ersten Lauf sehr viel später an. 2021 lief ich danach in den Sonnenuntergang. Jetzt war es Nachmittag.

Zwischen diesen beiden Fotos lagen nur 5 Kilometer bevor es noch einmal richtig anstrengend wurde. Der letzte CP lag bei Kilometer 80. Das bedeutete 15 Kilometer hauptsächlich auf einer asphaltierten Strasse zurück in Richtung Mos Espa und das bei Gluthitze.

Trotz der Strasse, war hier kaum jemand unterwegs. Es ging monoton gerade aus. Der Asphalt glühte von unten, die Sonne von oben. Obwohl die Strecke flach ist und man denkt, dass man hier gut Zeit rauslaufen könnte, fällt jeder Schritt schwer und kostet richtig Kraft.

Irgendwann musste man wieder runter von der Strasse und ich bog rechts ab zurück in den Sand. Ein Hirte mit seiner Ziegenherde kreuzte den Weg. Ich kniff die Augen zusammen und suchte das Zelt für CP bei 80 Kilometern, der letzte Verpflegungspunkt vor dem Ziel.

Nach ein paar Biegungen tauchten endlich die weissen Fahnen auf, die im Wind flatterten. Ich kann gar nicht in Worte fassen, was dieser Anblick auslöste. Irgendwie war das schon wie ein kleiner Sieg hier im Tageslicht anzukommen. 2021 kam ich nach 20 Uhr an und war schon über 2 Stunden in der Dunkelheit gelaufen. Jetzt war es kurz nach 17:30 Uhr.

Ausserdem traf ich hier Bouali, den ich vom letzten Jahr kannte. Es ist unglaublich, was ein bekanntes Gesicht auslösen kann.

Ich tauschte mein Sun-Visor gegen die Stirnlampe, füllte noch einmal Elektrolyte auf und Bouali befestigte den Leuchtstab am Rucksack und dann lief ich auch schon weiter.

Ein mulmiges Gefühl flackerte auf. Die letzten 20 Kilometer bis zum Ziel sind noch einmal richtig anstrengend und erscheinen endlos. Ausserdem war die Erinnerung daran, dass ich 2021 von der Strecke abgekommen bin, weil ich kein GPS mehr hatte, plötzlich mehr als präsent.

Deshalb wollte ich so viel Strecke wie möglich noch bei Tag schaffen, denn in der Wüste, bei Dunkelheit, nur mit Stirnlampe, sieht man um sich herum nichts als schwarze, dunkle Nacht, die alles verschluckt.

Ungefähr 30 Minuten später begann sich die Sonne langsam immer weiter Richtung Horizont zu nähern und wechselte die Farbe langsam von warmem Orange in tiefes leuchtendes Rot.

Für einen kurzen Moment scheint die Welt den Atem anzuhalten.

In solchen Momenten, wird mir bewusst, dass sich jeder Schritt und jede Mühe gelohnt hat, um genau an diesen Punkt zu kommen und diesen Moment zu erleben.

Die Sonne versank langsam am Horizont und hüllte alles um mich langsam in Dunkelheit. Über mir begann der Himmel mit Millionen Sternen zu funkeln.

Noch ein ziemlich weiter Weg lag vor mir.

Das Licht der Stirnlampe hüpfte auf und ab. Der Sand knirschte. Irgendwann blickte ich nach links und zwei Augenpaare leuchteten auf und ich erkannte ein paar Dromedare, die am Wegrand ruhten.

Mein Rücken schmerzte. Ständig fast 2,5 kg oder mehr zu tragen, macht sich dann doch irgendwann bemerkbar. Mein linker kleiner Zeh meldete ebenfalls, dass er ziemlich beansprucht war. Ich wusste, dass sich da wahrscheinlich wieder eine grosse Blase gebildet hatte. Wenn man müde und erschöpft ist, die Muskeln schmerzen und Gelenke knirschen, nimmt man all diese Dinge mehr als doppelt so intensiv wahr. Alles schreit danach einfach aufzuhören und sich endlich hinzusetzen und auszuruhen.

Das Elektrolytgetränk wollte auch nicht mehr so richtig schmecken.

Ich schaute immer wieder auf meine Garmin.

Dann - bei 98 Kilometer - zwei Kilometer vor dem Ziel, das ich immer noch nicht sehen konnte, fiel ich noch einmal und völlig überraschend in ein mentales Tief.

In meinem Kopf sagte eine Stimme plötzlich sehr bestimmt:

“Mensch Tanja, es reicht jetzt. 98 km sind auch gut. Ruh dich aus.”

Eine andere sagte:

“Du machst auf jeden Fall weiter. Nur noch zwei Kilometer. Du gibst jetzt auf gar keinen Fall auf.”

So ging das hin und her.

Goethe's Mephisto und Faust hätten das nicht besser hinbekommen.

Irgendwann dachte ich nur noch:

“Wann kommt dieses verdammte Ziel endlich!”

Und dann, nachdem ich noch einmal eine Düne durchquert hatte, tauchten sie plötzlich auf. Lichter an der Seite, die das Star Wars Dorf Mos Espa ankündigen und weiter vorne zeichneten sich, noch kaum zu erkennen, unscharfe weisse Fahnen und Zelte im diffusen Licht ab.

Irgendwann erkannte ich den Torbogen, das Ziel, und dann gab es kein Halten mehr. Die Stille des Windes und der Dunkelheit brach auf und mischte sich mit Stimmengemurmel.

Die Füße wurden schneller, das Herz schlug spürbar in der Brust und dann wurde ich wie in einem Sog angezogen und lief wieder hindurch, durch dieses Tor, das ich vor so vielen Stunden schon einmal durchschritten hatte und war endlich zurück.

Die Medaille wurde mir umgehängt und Fotos gemacht.

Ich kann mein Glück kaum beschreiben. In diesem Moment fühlt sich alles noch sehr unwirklich an und man hat noch gar nicht so richtig realisiert, was man gerade geschafft hat.

Aber ich hatte es zum zweiten Mal geschafft 100 km nonstop in der Sahara zu laufen.

Nachdem ich meinen Beutel mit Wechselsachen geholt hatte, bot mir Ann-Kathtrin, die ich letztes Jahr kennengelernt hatte, an mit ihnen zurück ins Hotel zu fahren. So musste ich nicht auf den nächsten Bus-Transfer warten und kam relativ früh los.

Am Hotel erwarteten mich dann Anna, Andrea, Max und Nico. Ich zog mich schnell um und dann stürzte ich mich auf das Buffet.

Hier erzählte mir Anna, dass sie die erste bei den Frauen auf der 50 km Strecke geworden ist und dabei noch den Streckenrekord geknackt hat :)

Obwohl ich ziemlich kaputt und erschöpft war, fühlte ich mich ganz gut.

Meinen Muskeln ging es, sagen wir, den Umständen entsprechend und auch mein Magen/Darm fühlte sich ganz in Ordnung an.

Irgendwann war ich dann froh auf dem Zimmer zu sein und endlich zu duschen.

Auch diesmal würde die Nacht kurz sein.

Nach dem Frühstück sollte es die Siegerehrung geben und dann ging es sofort in den Bus zurück nach Tunis.

Die Abschlusszeremonie ist jedesmal etwas ganz Besonderes beim UMED.

Man hat das Gefühl, dass jeder einzelne Läufer gewürdigt wird, auch wenn er nicht Platz 1-3 ist.

Letztendlich macht aber auch genau das den Unterschied. Nicht nur die Organisation und der Veranstalter machen ein Lauf-Event zu etwas Unvergesslichem. Es sind auch die Teilnehmer und Menschen, die zusammen kommen.

Anna bei der Siegerehrung als schnellste Frau auf der 50k Strecke.

Bader Din Bader ist mit Krücken auf der 50 km Strecke an den Start gegangen.

Genau das macht den UMED einzigartig..

Jeder einzelne Teilnehmer ist ein Sieger, der sich auf diese Herausforderung einlässt. Egal wie weit er kommt und egal wie schnell er ist.


Manchmal brauchen wir eine Wüste, ein Gefühl der Leere, um die Fülle des Lebens zu spüren.
— Soledad Elbert-Böhm

Das war mein zweiter Lauf in der Sahara und jedesmal habe ich das Gefühl, dass ein Teil von mir zurück bleibt.

Zurück in dieser Weite, in der der Sand der Zeit nicht zu vergehen scheint.

Ein Gefühl grosser Freude und Befriedigung habe ich wieder mit nach Hause genommen. Aber auch Demut und Sehnsucht.

Demut vor dieser Natur, die ich nur verstehe kann, wenn ich mich selbst als ein Teil davon verstehe.

Sehnsucht nach dieser Leere, die mich die unendliche Fülle des Lebens begreifen und erleben lässt.

Ich komme sicher wieder. Nächstes Jahr.


Mehr über Anna und ihre Laufleidenschaft erfahrt ihr hier:

Anna Hughes

Nesh's Tauchschule ist in Mahida. Anna und Nesh haben auch ein kleines Gästehaus in der Medina.

Mehr dazu findet ihr hier:

Subway Mahida Tunisia

Wer mehr über Tunesien, Reisen und das Land erfahren möchte, wird hier fündig:

Discover Tunisia


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Wenn ihr Fragen an mich habt, könnt ihr mich auch gerne direkt kontaktieren:

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Pressereise zum UMED 2022 - Tunesien