Wasser ist Leben

  1. Checkpoint mit Wasserversorgung 100 km UMED Sahara 2021 - Tunesien

In der Wüste zu laufen bedeutet mehr als einfach nur laufen. Sich auf den Weg zu machen in eine absolut lebensfeindliche Natur, reduziert auf das Notwendigste und auf das was man wirklich braucht um von einem zum anderen Checkpoint zu kommen, macht mir jedesmal bewusst, was für ein Privileg es für mich ist, jeden Tag Zugang zu sauberem Trinkwasser zu haben, indem ich einfach bei mir zu Hause den Wasserhahn aufdrehe.

Ein kleiner Hebel, den ich ohne viel Kraft und Aufwand betätigen muss und schon fliesst das Wasser und stillt meinen Durst, kühlt mich ab, macht mich sauber und ich kann Obst und Gemüse waschen und meinen geliebten Cappuccino zubereiten.

Ja, ich liebe heisse Temperaturen und laufe gerne wenn es richtig warm ist. Ich liebe die Weite und die Stille der Wüste. Aber die Wüsten dieser Welt sind in Ländern, in denen es ganz anders aussieht als hier in Deutschland. Besonders deutlich wurde mir das auf dem Weg in die Sahara zu meinem 100 km Wüstenlauf in Tunesien 2021.

Der Bustransfer der Läufer*innen startete am frühen Morgen von Tunis nach Tozeur und sollte ungefähr 9 Stunden dauern. Wir waren nach zwei kleinen Stopps und Mittagspause auf der Strasse Richtung Gafsa, als der Verkehr zum Stillstand kam und nichts mehr weiter ging.

Auf dem Weg nach Tozeur - 30. 09. 2021

Zunächst war nicht ganz klar warum es hier einen Stau gab. Am Wahrscheinlichsten wäre ein Unfall gewesen. Wir nutzten die Gelegenheit nach draussen zu gehen, frische Luft zu schnappen und etwas Kühles zu trinken. Gafsa liegt nördlich des Salzsees Chott el Djerid in der zentraltunesischen Steppe und das Klima wird hier schon hauptsächlich durch die Wüste bestimmt, d.h. die Sommer sind sehr trocken und heiss. Auch an der Landschaft links und rechts der Strasse war der Einfluss der Wüste schon deutlich zu sehen und auch zu spüren, denn es waren über 30 Grad und ein trockener, heisser Wind strich über meine Haut und ich versuchte mir einzubilden, dass er etwas kühlt.

Inzwischen kamen immer mehr Autos, kleine Transporter und Lkw’s zum Stehen. Menschen stiegen aus, unterhielten sich aufgeregt und einige liefen weiter nach vorne, um irgendwie herauszufinden, was passiert war und wie lange es noch dauern könnte. Auch unser Fahrer versuchte an Informationen zu kommen und telefonierte mit dem Orga-Team des Laufs.

Nach ein paar Minuten kam er zurück und teilte uns mit, dass Anwohner die Strasse blockieren würden und die Polizei oder das Militär unterwegs sei um sie zu räumen. Einige fragten, warum sie die Strasse blockierten und er meinte, dass es in dieser Region seit Wochen sehr trocken und heiss sei und die Anwohner seit 14 Tagen kein Trinkwasser mehr hätten und die Versorgung durch die Regierung oder in diesem Fall durch das Gouvernements Gafsa bei weitem nicht ausreicht. Aber es würde nicht mehr lange dauern, dann ginge es weiter.

In diesem Moment wurde mir wieder einmal bewusst, welches Privileg es ist in einem Land wie Deutschland geboren worden zu sein. Ich habe mir vor drei Jahrzehnten als Teenie und junge Erwachsene, so gut wie keine Gedanken darüber gemacht woher mein Wasser kommt. Geschweige denn habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen, dass ich Wasser aus dem Wasserhahn problemlos trinken kann, aber gleichzeitig damit wasche, putze, die Toilette betätige, Pflanzen giesse. sprich Trinkwasser verbrauche und benutze ohne ein Bewusstsein dafür zu haben, dass es ein Grundnahrungsmittel ist ohne das wir nicht leben können. Eine Ressource, die in vielen Regionen der Länder rar und kostbar ist. Für mich war es einfach da - im Überfluss- und nutzbar und frei zugänglich, egal wann und wieviel ich brauchte.

Hier ist das anders. Hier wissen die Menschen nicht wieviel Wasser ihnen zu Verfügung steht und wenn, ob es dann reicht um ihre Familien, ihre Tiere und ihre Landwirtschaft am Leben zu halten. Also versucht man etwas zu tun, sich bemerkbar zu machen. Was könnte man auch anderes tun?

Und dann kommt die Polizei oder das Militär und löst die Strassenblockade auf. Dann ist wieder Ruhe und es kann weiter gehen. So einfach ist das…

Strassenblockade von Anwohnern wegen Wassermangels - 30. 09. 2021

Viele Gedanken und Fragen sind mir nach dieser Erfahrung durch den Kopf gegangen. Im ersten Moment hatte ich grosse Zweifel ob es richtig war an diesem Wüstenlauf teilzunehmen.

Ich empfand es als Wahnsinn und überheblich in einem Land durch die Wüste zu laufen, in denen es Regionen gab, wo Wasser für die Anwohner knapp ist und ich überlegte tatsächlich kurz ob ich das überhaupt noch will.

Aber der Ultra Mirage ist ein sehr besonderer Lauf. Der Lauf ist stark verknüpft mit der Region in der er stattfindet. Die Organisatoren legen grossen Wert darauf mit lokalen Menschen und Geschäften zusammen zu arbeiten und Nachhaltigkeit ist ein zentraler Punkt. Auch das Wasser wird thematisiert. Uns Teilnehmern sollte später im Briefing bewusst gemacht werden, dass wir nicht unendlich viel Wasser zur Verfügung hätten. Sich verschwenderisch Trinkwasser überzuschütten, wie man es in Europa oder reichen Industrienationen oft bei Marathons oder anderen Laufveranstaltungen sieht, sollten wir vermeiden und auch nur soviel Wasser mitnehmen, wie wir tatsächlich brauchen.

Es ist nun einmal ein Wüstenlauf und genau das ist es auch, was ich erfahren wollte.

Wie fühlt es sich an, wenn man bei über 35 Grad stundenlang durch den heissen Wüstensand läuft und keine Möglichkeit hat sich abzukühlen oder unendlich viel zu trinken ?

Wie reagiert man, wenn man mit absolut lebensfeindlichen Bedingungen konfrontiert wird und einem bewusst wird, dass hier ein Überleben so gut wie unmöglich wäre, würde es keine Versorgungspunkte geben?

Sehr viel später, auf meinem 100 km langen Weg durch die Sahara sollte mir dieses Erlebnis auf der Strasse in Richtung Gafsa immer wieder ins Bewusstsein kommen. Immer dann, wenn es ziemlich anstrengend wurde und die Hitze fast unerträglich auf meinem Kopf und der Haut brannte und jeder Schritt sich träge und schwerfällig wie Blei anfühlte, weil die Luft eine heisse und warme Wand bildete, dachte ich genau an diesen Moment mit der Strassenblockade der verzweifelten Anwohner.

Ich musste einfach nur durchhalten und weitergehen. Einen Schritt nach dem anderen bis zum nächsten Checkpoint und dort würde ich mit genug Wasser versorgt werden. Diese Sicherheit hatte ich und diese Gewissheit war ein unglaublicher Antrieb.

Viele Menschen in dieser Region haben diese Sicherheit nicht und wissen in den heissen Sommermonaten auch nicht wann und wieviel Trinkwasser ihnen zur Verfügung stehen wird.

In den letzten Jahren hat sich meine Einstellung zu bestimmten Themen wie Klima, Umwelt, Nachhaltigkeit und Konsum enorm verändert. Ein Grund dafür sind meine Läufe in den unterschiedlichsten Regionen und Ländern dieser Welt. In wunderschöner Natur zu laufen, Landschaften zu erkunden und Menschen zu begegnen, die ihr Land lieben und sich freuen ihre Kultur zu zeigen und zu teilen, macht mir jedesmal bewusst, dass ich auch eine Verantwortung habe.

Verantwortung dafür auch hier in Deutschland achtsam und bewusst mit einer so lebenswichtigen Ressource wie z.B. Trinkwasser umzugehen.

Ein Sprichwort aus Israel sagt:

Den wahren Geschmack des Wassers erkennt man in der Wüste.

Für mich ist es keine Selbstverständlichkeit mehr jederzeit Zugang zu sauberem Wasser zu haben. Ich bin sehr dankbar darüber, dass ich diese Möglichkeit habe und mir darüber keine Gedanken machen muss ob ich morgen den Wasserhahn aufdrehe mit der Angst, dass nichts herausfliesst.

Ich kann durch mein eigenes Verhalten und Tun bewusst dazu beitragen, dass es vielleicht irgendwann für alle Menschen normal ist, genügend Trinkwasser zur Verfügung zu haben um nicht nur zu überleben, sondern einfach zu leben mit dem beruhigenden und sicheren Gefühl, dass man mit allem Lebensnotwendigen ausreichend versorgt ist.

Oktober 2021 - 100 km UMED Sahara Tunesien

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